Keine Politik, keine Demokratie ohne Lobbyismus. Doch was, wenn aus Unterstützung Beeinflussung wird, gar Steuerung? Nimmt der Lobbyismus Überhand, zerstört er am Ende die Demokratie?
Die EU-Institutionen gelten als Spielplatz der Lobbyisten, die hinter verschlossenen Türen Einfluss auf die Politik nehmen. Manche Unternehmen und Verbände sind dabei besonders erfolgreich. Je mehr Kapital im Hintergrund steht, desto erfolgreicher wird die Einflussnahme. Lobbyismus ist aufgrund seiner finanziellen Kraft und undurchsichtigen Seilschaften in Wirtschaft und Politik eines der größten Probleme und Gefahren unser heutigen Zeit.
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„Das sind Vorgaben aus Brüssel.“ So rechtfertigen Bürgermeister, Abgeordnete und Minister in ganz Deutschland gern, wenn etwas nicht funktioniert, sie daran aber leider nichts ändern können. „Brüssel“ wird dabei gerne als ferner Kosmos dargestellt, auf den niemand Einfluss hat – außer natürlich Lobbyisten. Es gibt Parteien, die ganze Wahlprogramme auf diesem gefühlten Demokratiedefizit der EU-Institutionen aufbauen. Und es stimmt ja: Die EU hat in den vergangenen Jahren in der Gesetzgebung einen immer wichtigeren Stand bekommen – das macht sie interessant für Lobbyisten. Doch wie groß ist das Problem wirklich?
82% der Deutschen sind für eine Begrenzung der Lobbyarbeit, bei kaum einem Thema sind sich die Deutschen einiger, als bei dieser Frage. Nur interessiert das in unserer „Demokratie“ niemanden in der Politik. Die Abgeordneten werden doch keine Gesetze erlassen, die ihnen an den Geldbeutel gehen! Die Grünen sind zwar ständig für eine Begrenzung der Macht der Lobbyisten, aber das lässt sich auch leicht fordern, wenn man weiß, dass das nie eine Mehrheit im Bundestag bekommt. Und wenn es um den eigenen Geldbeutel geht, vergessen die Grünen ihre offiziellen Forderungen ganz schnell wieder, wie Frau Andrae, die auf Kritik an ihrem Wechsel folgendermaßen reagiert hat:
„Kritik an ihrem Wechsel weist sie zurück: „Lobbyarbeit ist nichts Anrüchiges.““
Frau Andrae Bündnis 90 die Grünen

Die Zahl der im Transparenzregister der EU gelisteten Organisationen ist in den vergangenen Jahren mit großen Schritten gewachsen. Inzwischen gibt es in Brüssel ähnlich viele Lobbyorganisationen wie in der amerikanischen Hauptstadt Washington. Dort sind es seit mehreren Jahren gut 11.000 Verbände, Unternehmen und Interessengruppen, die Lobbyarbeit betreiben. In Brüssel ist ihre Zahl seit vergangenem Jahr erstmals relativ konstant geblieben. Mit Stand vom 6. August waren im EU-Transparenzregister etwas mehr als 11.900 Organisationen gelistet. Die Daten, die wir hier zugrunde legen, stammen übrigens aus den offiziellen EU-Datenbanken, welche die beiden Nichtregierungsorganisationen Corporate Europe Observatory und Lobycontrol auf ihrer Plattform lobbyfacts.eu zusammengetragen und durchsuchbar gemacht haben.

Nach seinem Budget ist der größte Lobbyist in Europa zur Zeit mit großem Abstand der Europaverband der chemischen Industrie (Cefic). Der Verband gibt seine Ausgaben für das Vertreten seiner Interessen gegenüber den EU-Institutionen mit 12 Millionen Euro im Jahr 2018 an, bei einem Gesamtbudget von 40,3 Millionen Euro. 23 Personen des Verbands haben eine Akkreditierung für das Europäische Parlament, die Gesamtzahl seiner Lobbyisten gibt Cefic mit 78 an.
Auch von den aus Deutschland stammenden EU-Lobbyisten gibt die chemische Industrie am meisten Geld für ihre Arbeit aus. Mit dichtem Abstand folgt ihnen aber der Verband des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus. Darauf folgen mit Siemens, Bayer, BASF und der Deutschen Bank vier der größten deutschen Unternehmen.
Warum ist Lobbyismus überhaupt ein Problem?
1) Lobbyismus findet unter wachsender gesellschaftlicher Ungleichheiten und verfestigter Machtstrukturen statt. Diese spiegeln sich im Feld des Lobbyismus wider und sorgen für ungleiche Ausgangsbedingungen. Ohne politische Gegenkräfte oder institutionelle Schranken begünstigt diese ungleiche Verteilung der Ressourcen (finanzielle Mittel) große, einflussreiche Akteure und gefährdet einen demokratischen, am Gemeinwohl orientierten Interessenausgleich. Der Pluralismus als Ideal einer ausgewogenen und gleichberechtigten Interessenvertretung, bei der sich praktisch von selbst das beste Argument durchsetzt, ist dadurch nicht gegeben und eine Illusion.
2) Lobbyismus benachteiligt in seiner aktuellen Form die, die über weniger Ressourcen oder Zugänge verfügen.
Politische Entscheidungen entspre chen häufig den Meinungen Vermögender. Die wachsende Lobbyübermacht der Unternehmen und Wirtschaftsverbände droht, ökologische und soziale Belange an den Rand zu drängen. Das Machtgefälle innerhalb und zwischen einzelnen Wirtschaftsbranchen führen zu unausgewogenen Entscheidungen. Ein Beispiel: Die jahrelange Nichtbeachtung der Abgasnormen für Dieselfahrzeuge und die mangelnde Aufklärung dieses Skandals ist dem großen Einfluss der Autolobby zuzuschreiben. Die Kosten für Gesundheit und Umwelt trägt jedoch die gesamte Gesellschaft.
3 ) Der Lobbyismus ist vielfältiger, partikularer und professioneller geworden.
Mit dem Regierungsumzug nach Berlin und der vertieften europäischen Integration hat sich die Landschaft der Lobbyakteure erweitert und diversifiziert. Die klassischen Verbände verlieren an Bedeutung. Stattdessen unterhalten viele große Unternehmen eigene Lobbybüros in Berlin, Brüssel und Co., um direkt Einfluss zu nehmen. Viele spezialisierte und hochprofessionelle Lobbydienstleister verkaufen ihr Können an zahlungskräftige Kunden. Neben Lobbyagenturen mischen auch Anwaltskanzleien, Beratungsunternehmen oder intransparent finanzierte Denkfabriken und Stiftungen im politischen Geschäft mit. An privaten Hochschulen bekommen Lobbyist/innen und solche, die es werden wollen, das Handwerkszeug moderner Lobbyarbeit vermittelt. Im Ergebnis ist Lobbyarbeit aufwändiger, teurer und undurchsichtiger geworden – dies begünstigt finanzstarke Akteure und erschwert politische Abwägungsprozesse.
4) Lobbyismus ist mehr als die direkte Beeinflussung politischer Entscheidungsträger: Alle Bereiche aus Wissenschaft, Medien und die Meinung der breite Öffentlichkeit sind im Fokus von Lobby- und PR-Kampagnen. Lobbystrategien umfassen heute die gezielte Ansprache relevanter Gruppen auch außerhalb der offiziellen Politik: Wissenschaftler/innen, Journalist/innen, Bürger/innen und selbst Kinder und Jugendliche. Dabei geht es darum, den politischen Diskurs langfristig zu beeinflussen. Metapolitik und Meinungsmache wird hierbei betrieben. Es werden z. B. bestimmte Botschaften platziert („Sozial ist, was Arbeit schafft!“), oder das Image wird aufpoliert, um politischer Regulierung zu entgehen („Greenwashing“). Stimmungen und Trends zu einer konkreten politischen Entscheidungsfrage sollen gezielt verstärkt oder abgeschwächt werden. Journalist/ innen werden dementsprechend mit interessengeleiteter Expertise und Gutachten bedrängt. Sie werden wie politische Entscheider/innen zu Reisen, Veranstaltungen und kostspieligen Events eingeladen. Wissenschaftler/innen und Hochschulen sind begehrte Partner für Lobbyist/innen und ihrerseits oft auf zusätzliche Finanzierung angewiesen. Und selbst vor der Schule machen Lobbyist/innen keinen Halt und beeinflussen schon Kinder mit Werbebotschaften – so zum Beispiel in Unterrichtsmaterialien oder Schulkooperationen.
5) Der Staat wird immer mehr durch Lobbyismus unterwandert.
Angesichts vielfältiger und kleinteiliger Versuche der Einflussnahme müssten die demokratischen Institutionen auf Distanz achten und für ausreichende eigene Kapazitäten zur Abwägung unterschiedlicher Argumente und Interessen sorgen. In der Praxis ist das Gegenteil der Fall. Staat und Parteien binden private Akteure und Lobbyist/innen immer enger in Entscheidungsprozesse ein. Wenn politische Entscheidungen in Expertengremien und Kommissionen ausgelagert oder Gesetzestexte gleich vollständig von Anwaltsfirmen geschrieben werden, untergräbt der Staat seine Verantwortung für einen fairen und transparenten Interessenausgleich und lässt sich Fremdsteuern.
Diese Entwicklungen sind zum einen Ausdruck grundlegender Machtverschiebungen zwischen Markt und Staat, deren strukturelle Ursachen in einer marktorientierten Globalisierung, Liberalisierung und Deregulierung liegen. Zum anderen entsprechen sie einem Staatsverständnis, nach dem Politik als Management betrieben wird und der Staat eher eine moderierende denn eine gestaltende Rolle hat. Triebkräfte dieses Staatsverständnisses wiederum sind diejenigen, die vom Politikoutsourcing profitieren und dadurch selbst Lobbyismus betreiben.
6) Finanzielle und personelle Verflechtungen verschieben die Unabhängigkeit demokratischer Institutionen und die Ausgewogenheit politischer Entscheidungen hin zum Lobbyismus.
Seitenwechsel ehemaliger Regierungsmitglieder, lukrative Nebentätigkeiten von Abgeordneten, externe Mitarbeiter/innen in Ministerien oder das Auslagern von Gesetzesformulierungen an private Anwaltskanzleien können zu Interessenkonflikten („Diener zweier Herren“) führen und privilegierte Zugänge für Einzelne schaffen. Politische Entscheidungen werden dann mit einem Seitenblick auf andere Arbeitgeber, Kunden oder Geldgeber getroffen.
7) Die zunehmende Verlagerung vieler wichtiger Entscheidungen der EU Mitgliedsstaaten nach Brüssel führt zu einem strukturellen Vorteil für starke Lobbyakteure.
Die Ausgestaltung der europäischen Institutionen erschwert gleichberechtigte Zugänge. Zum einen führt der relativ kleine Brüsseler Verwaltungsapparat dazu, dass Kommissionsbeamte oft auf Vorschläge externer „Expert/innen“ zurückgreifen, die häufig eigene Interessen vertreten. Um Lücken in der eigenen fachlichen Kompetenz zu schließen, greift die Kommission auf etwa 800 Beratungsgremien zurück. Viele davon sind unausgewogen besetzt und bieten Lobbygruppen damit die Möglichkeit, bereits sehr frühzeitig auf europäische Gesetze einzuwirken. Hinzu kommt, dass die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten häufig mit Erfolg die Interessen der Wirtschaft ihres Landes in Brüssel vertreten. Der dahinterstehende Lobbyeinfluss ist besonders intransparent. Das schadet dem Ansehen und der Funktionsfähigkeit der EU. Im Europäischen Parlament gibt es keinen wissenschaftlichen Dienst, wie er im Bundestag existiert. Das Fehlen einer klassischen Opposition mit ihrer Kontrollfunktion, eine schwach ausgeprägte europäische Öffentlichkeit sowie mangelnde demokratische Beteiligungsmöglichkeiten erleichtern die Lobbyarbeit außerhalb des Blickfeldes öffentlicher Kontrolle und Kritik.
8) Intransparenz erschwert demokratische Kontrollmöglichkeiten.
Lobbyismus ist weitgehend intransparent. Es gibt keine gesetzlichen Offenlegungspflichten, denen sich Lobbyisten unterwerfen müssen. Schwache Transparenzregeln lassen privilegierte Zugänge und Einflussnahme aus dem Blick der Öffentlichkeit geraten. Ohne Transparenz schwindet der Raum für Kritik und Protest. Intransparenz verschafft vor allem denen Vorteile, die über informelle Wege – wie etwa gute Kontakte – einen Informationsvorsprung erlangen können. Intransparenz ermöglicht außerdem unlautere Methoden wie die Einrichtung von Tarnorganisationen oder vorgetäuschte Bürgerproteste, die von Akteuren und Interessensverbänden gesteuert werden.
9) Die Bürger der verschiedenen Nationen, stehen dem Lobbyismus weitaus kritischer gegenüber als ihre Vertreter/innen in den Parlamenten.
Finanzielle Verflechtungen, fliegende Seitenwechsel und intransparente Entscheidungen mit dem Geruch nach einseitiger Einflussnahme – in der Öffentlichkeit wird die zu große Nähe zwischen Politiker/innen und Lobbyist/innen sehr negativ bewertet. Dennoch ist die Bereitschaft für grundlegende Veränderungen auf Seiten der Parteien gering. Dies trägt zum Erstarken extremistischer Kräfte bei. Sich mit konkreten Schritten für mehr Demokratie und Transparenz zu beschäftigen, ist unbequem und schadet den eigenen Machtinteressen. Affären werden zu Parteiengeplänkel und geraten nach Ende der medialen Aufmerksamkeit schnell wieder in Vergessenheit. Eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem heutigen Lobbyismus, seinen Methoden und den zugrundeliegenden Machtverschiebungen bleibt aus. Durch diese Folgenlosigkeit bleiben die politischen Rahmenbedingungen für Lobbyismus weit hinter den realen Entwicklungen zurück. Die sich dadurch öffnende Schere gefährdet die Staaten und die Demokratie.
10) Die Demokratie ist in Gefahr – Lobbyregulierung ist eine JETZTaufgabe.
Die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte weisen in eine gefährliche Richtung. Demokratie droht zu einer leeren Hülle zu werden, in der zwar den formalen Anforderungen an demokratische Entscheidungen entsprochen wird, die Inhalte jedoch abseits davon durch kleine Elitezirkel geprägt werden (Stichwort „Postdemokratie“). Viele Bürger/innen sehen sich nicht mehr von der Politik vertreten. Zudem ist in Europa ein Aufstieg anti-pluralistischer Kräfte zu beobachten. Die Krise der Repräsentation ist dafür nicht die alleinige Ursache, nährt aber diese Kräfte. Sie schaden unser Gesellschaft. Deshalb gilt es, der Frustration vieler und der privilegierten Gestaltungsmacht weniger eine lebendige Demokratie entgegenzusetzen, in der die Interessen der Bürger/innen Gehör finden.
Die Macht des Lobbyismus: Eine Gefahr für unsere Zukunft

Ein Beispiel wie Lobbyismus nachhaltige Arbeit gefährden kann
Der European Green Deal zeigt in die richtige Richtung. Dem Projekt der Europäischen Kommission werden aber zunehmend Steine in den Weg gelegt – nicht zuletzt von einer übermächtigen Wirtschaftslobby, die Einfluss auf die europäische Klimapolitik ausübt. Eine Analyse.
Ein „Zerrbild“ sei es, einerseits deutlich den Klimanotstand auszurufen und andererseits Industrien finanzielle Unterstützung zuzugestehen, die diesen Klimanotstand doch erst angeheizt haben – so lautete die fassungslose Reaktion von Aktivisten auf eine Abstimmung des Parlaments-Ausschusses für regionale Entwicklung (REGI), zuständig für die Regional- und Kohäsionspolitik der EU, im Juli 2020: Laut Letzterer soll der Just Transition Fund nun doch fossile Brennstoffe finanziell unterstützen. Als die Kommission im Januar 2019 einen Entwurf zum Fonds vorlegte, war das ausdrücklich noch nicht vorgesehen. Von Anfang an stand das Ziel im Fokus, bestimmten Regionen – allen voran Mittel- und Osteuropa – zum grünen Übergang zu verhelfen: weg von Kernenergie, Braunkohle und fossilen Brennstoffen insgesamt, hin zu neuen, grünen Arbeitsplätzen. Schließlich entschied im September aber auch das Europäische Parlament, fossilen Brennstoffen öffentliche Gelder aus dem Fonds zuzubilligen.
Dass dabei die Interessen einzelner Unternehmen – und eben nicht das Gemeinwohl in Hinblick auf die eskalierend voranschreitende Klimakrise – im Mittelpunkt standen, verwundert keineswegs.
„In vielen Bereichen der EU-Politik üben Unternehmen einen Einfluss aus, der im deutlichen Ungleichgewicht steht zu dem, was die Zivilgesellschaft denkt“
Nina Katzemich EU-Campaignerin von LobbyControl
Der Einfluss des Wirtschaftslobbyismus birgt zwei wesentliche Gefahren: Einerseits leidet die europäische Demokratie unter der Intransparenz, die mit der teilweise undokumentierten Masse von Interessensvertreter*innen und ihren Kontakten zu EU-Politiker*innen einhergeht – was auch zu Misstrauen gegenüber der Brüsseler Politik auf Seiten europäischer Bürger*innen führt. Andererseits hat dieser Einfluss dramatische und sehr reale, teilweise irreparable Auswirkungen auf die Klimapolitik der EU: „Das, worauf die Politik eigentlich verbal hinarbeitet, wird nicht erreicht – unter anderem, weil sich die Lobby so stark in den Weg stellt“, kritisiert Katzemich insbesondere in Hinblick auf das Klimaneutralitätsziel für 2050.
Lobbyregister: Eine Frage der (In-)Transparenz
Schätzungen von LobbyControl zufolge tummeln sich in Brüssel etwa 25.000 Lobbyist*innen – eine Zahl, die weltweit nur noch von Washington D.C. übertroffen wird. Mit einem insgesamt milliardenschweren Jahresbudget sind die Interessenvertreter*innen nicht zu unterschätzende Akteur*innen auf der Bühne der Europäischen Union. Doch gerade ihre Vielzahl ist ein Problem: Wo viele Einflussnehmer*innen sind, entwickelt sich ein Interessen-Wirrwarr, in dem man schnell den Überblick verliert. Unweigerlich führt ihre hohe Anzahl zu Intransparenz und belastet so die EU-Politik im Rahmen demokratischer, also auch durchsichtiger Entscheidungsfindung.
Seit 2008 kennt die EU zumindest eine Teillösung für dieses Problem: Das sogenannte Transparenzregister verzeichnet seitdem die meisten Lobbyorganisationen, in den letzten Jahren hat sich die Zahl bei knapp 12 000 eingependelt. Das vom Parlament und der Kommission eingeführte System ist öffentlich zugänglich und lässt erahnen, wie die Machtverhältnisse zwischen verschiedenen Lobbys aussehen: Über 6000 der eingetragenen Akteure kommen aus dem wirtschaftlichen Bereich und vertreten die Interessen großer Konzerne und Industriebranchen. Gerade mal ein Viertel der verzeichneten Interessensvertretungen sind Nichtregierungsorganisationen (NGOs), noch düsterer sieht es für Think Tanks und akademische Institutionen aus. Katzemichs Fazit zum Lobbyregister ist dennoch eher positiv: Wenngleich der Eintrag ins Transparenzregister bislang freiwillig sei und das System verbesserbar, so funktioniere es zumindest. Ihre Kritik liegt woanders. Was im Moment vollkommen fehlt, ist der Rat.
Der Ministerrat steht bislang außerhalb der Registerregelung. Die politischen Verflechtungen zwischen Mitgliedsstaaten und Lobbyist*innen sind nicht ansatzweise ersichtlich, obwohl eindeutig ist, dass die Interessen der nationalen Wirtschaftsmächte die Gesetzgebung in Brüssel beeinflussen. Der Ministerrat wird bislang nicht oft genug in die Verantwortung genommen, wenn es um die EU-Lobbypolitik geht. Nicht selten entpuppen sich die Mitgliedsstaaten als mächtige Vetospieler*innen, die wirtschaftskritische Entscheidungen am Ende zumeist verwässern, um die Anliegen ihrer nationalen Unternehmen zu berücksichtigen. Umso dringlicher wäre ein verbindliches Transparenzregister, das nicht nur für Parlament und Kommission, sondern auch für den Rat der EU gilt – und damit für alle drei am Ordentlichen Gesetzgebungsverfahren beteiligten Institutionen.
Diese Dringlichkeit hat Brüssel inzwischen erkannt. Im September 2016 schlug die Kommission vor, ein Lobbyregister einzuführen, welches für alle EU-Ebenen verbindlich ist. Frans Timmermans, damals Erster Vizepräsident der Juncker-Kommission, betonte die Notwendigkeit, den Bürger*innen einen Überblick darüber zu ermöglichen, wer welche Interessen europapolitisch vertrete. Der Vorschlag fußte auf der simplen Regelung: Ohne Eintrag im Register sollten keine Treffen zwischen Lobbyist*innen und EU-Entscheidungsträger*innen stattfinden dürfen. Die bisher geltende Regelung untersagt lediglich Treffen zwischen Kommissionsmitgliedern und jenen Lobbyist*innen, die nicht im freiwilligen Transparenzregister eingetragen sind. Im Juni 2020 setzten erneut Gespräche zwischen Parlament, Kommission und Ministerrat ein, um eine verbindliche Drei-Institutionen-Lösung zu finden. Wenngleich eine solche Entscheidung nicht verspricht, bald gefällt zu werden, symbolisieren die Gespräche zumindest die Bereitschaft, ein Problem nicht länger mit einer Teillösung abzuspeisen.
Getan hat sich Gesellschaftlich oder Politisch, zur Bekämpfung des Lobbyismus bis heute nicht viel! Kleine politische Geplänkel und Debatten reichen nicht aus um die Macht der finanzstarken Interessens- und Lobbygruppen zu brechen! Wohin der Lobbyismus führen kann, sehen wir an den Beispielen der "Agenda 2030" oder dem"Great Reset". Elitäre Zirkel kaufen sich die politischen Entscheidungsträger und präsentieren ihre Pläne dann den Bürgern/innen als sogenannten demoktratischen Entscheidungsprozess...
Was wir schon jetzt sehen: Die unantastbare Macht der Wirtschaftslobby
Eine wichtige Aufgabe erfüllt das bestehende Register für Parlament und Kommission dennoch: Es zeigt deutlich die Überpräsenz der Wirtschaftslobby auf. Wenngleich Brüssel bereits weitaus transparenter bezüglich Lobbyismus ist als beispielsweise Deutschland, ist das Vertrauen der europäischen Bürger*innen in die EU-Institutionen nicht gerade groß. Obwohl Brüssel weit weg erscheint, bleibt den Bürger*innen nicht verborgen, wie übermächtig Wirtschaftslobbyist*innen und die Dominanz der Konzerne und Industrien dort sind. Dass sowohl Jean-Claude Juncker als auch Ursula von der Leyen ihre Kommissar*innen darauf hinwiesen, bei Lobbytreffen auf Ausgewogenheit zu achten, sieht es eher als eine „Worthülse“ aus. Die Überzahl und finanzielle Top-Ausrüstung der Wirtschaftslobby führe dazu, dass sie eher angehört werde als beispielsweise Klimaaktivist*innen.
An der Schnittstelle von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft genießen Lobbyist*innen großen Einfluss auf politische Entscheidungen: Sie vertreten Interessen bestimmter Akteure und stehen mit Politiker*innen im beratenden Kontakt. Doch es bleibt nicht allein bei Treffen. Immer wieder sitzen Konzerne und Industriebranchen am Tisch von Expert*innenrunden und legen Gesetzesvorschläge vor, die hin und wieder Wort für Wort übernommen werden. Sie verhindern oder ändern Gesetze, die ihre Interessen gefährden. Die Entscheidung des Europäischen Parlaments, fossile Brennstoffe ebenfalls mit dem Just Transition Fund zu finanzieren, ist nur eines von zahlreichen Beispielen für eine typische Strategie der Unternehmen: „Gerade dann, wenn es um Detailfragen geht, setzen sie ihre Ressourcen ein, um sich in die Details reinzufuchsen“, sagt Katzemich. So werden grundsätzlich positive Gesetze und Projekte der EU relativiert, noch dazu meist außerhalb der öffentlichen Aufmerksamkeit.
Die Wirtschaftslobby erscheint unantastbar, die europäischen Institutionen ihr gegenüber nahezu machtlos. Am Beispiel der deutschen Automobilindustrie zeigt sich ganz deutlich: Deren Interessen sind gerade bei Verhandlungen zu Abgasregelungen geschützt. Dementsprechend einseitig gestalten sich Expert*innenrunden zu Themen wie Automobilität: Meist werden weder Klimaorganisationen noch unabhängige Wissenschaftler*innen geladen.
Die Unantastbarkeit der Konzerne auch darauf zurückzuführen, dass die Lobbypolitik der EU keinen ausreichend konsequenten Strafapparat für unrechtmäßiges Lobby-Verhalten kennt. Als im März 2019 Vertreter*innen des US-Ölgiganten ExxonMobil vorsätzlich nicht zu einer Anhörung über Klimawandel-Leugnung erschienen waren und ihnen in der Konsequenz die Entnahme ihrer Parlamentszugangspässe drohte, konnte sich das Parlament nicht zu einer deutlichen Reaktion durchringen. Letztendlich geschah nichts.
Die Wirtschaftslobby ist sich ihrer Macht bewusst und setzt klare Strategien ein, um der EU-Klimapolitik einen Strich durch die Rechnung zu machen. Im September 2018 wurde ein internes Memo von BusinessEurope, dem größten europäischen Arbeitgeberverband, geleakt. Darin war die Empfehlung zu lesen, „sich der erneuten Steigerung der Ziele [der EU-Klimapolitik] mit den üblichen Argumenten zu widersetzen“ – sprich die Abwälzung der Klima-Verantwortlichkeit auf nicht-europäische Staaten ebenso wie das Totschlagargument der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, die eine härtere Klimapolitik gefährde.
Nicht minder ehrgeizig ging ExxonMobil vor, um Abgasregulierungen für den Transportsektor abzuschwächen. Im November 2019, wenige Wochen vor der Bekanntgabe des Green Deals, trafen sich ExxonMobil-Lobbyist*innen mit Kommissionsmitgliedern, um unter anderem striktere CO₂-Standards zu verhindern. Im Dezember wurde anschließend der Green Deal vorgestellt, der zwar strengere Abgasstandards vorsah, aber die Frage offenließ, ob der gewerbliche Straßenverkehr überhaupt in das EU-Emissionshandelssystem aufgenommen werden sollte. Das wiederum käme der Autoindustrie sehr gelegen. 1:0 für die Wirtschaftslobby also – und eine weniger positive Bilanz für die grüne Zukunft des Klimas.
Covid-19: „Eine Krise wird gegen die andere ausgespielt“
Die Corona-Pandemie hat die Macht der Wirtschaftslobby nicht geschwächt. Im Gegenteil – haben die letzten Monate schwerwiegende Entwicklungen der EU-Klimapolitik zu verzeichnen: Nicht selten sprechen Unternehmen und Verbänden nun von wirtschaftlichen Schäden, die vermeintlich unwirtschaftliche und schwer umsetzbare Klimastrategien verhindern. „Eine Krise wird gegen die andere ausgespielt“. In einem gemeinsamen Brief warnten vier europäische Dachverbände der Autoindustrie, man solle aufgrund der Auswirkungen der Pandemie zunächst einmal einige Gesetze überdenken oder zumindest verschieben – beispielsweise die vor Jahren beschlossenen Ziele zu CO₂-Reduzierungen.
Als Vorwand benutzten ebenso Fluggesellschaften die Coronakrise, um Steuererhebungen auf Kerosin zu verhindern. Selbst die Plastikindustrie sah ihre Stunde geschlagen, um die hygienischen Vorzüge von Medizinprodukten aus Plastik zu betonen. Die damit verbundene Forderung, die Frist für die Umsetzung der Einwegplastik-Richtlinie auf nationaler Ebene um mindestens ein Jahr zu verschieben, mutet besonders dreist an, da die Regelung ausdrücklich Medizinprodukte aus dem Verbot ausschließt.
Greenwashing beim gleichzeitigen Dagegenarbeiten
Unternehmen zeigen sich nach außen als grüne Innovator*innen, setzen zugleich aber eine Reihe subtiler Techniken ein, um politische Entscheidungsträger*innen von den eigenen Interessen zu überzeugen. Klimapolitische Entscheidungen werden ausgebremst oder stark abgeschwächt, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfährt.
Zivilgesellschaft: Stark, aber nicht stark genug
Wenngleich als Beispiel, die Klimabewegung bislang nicht über ausreichend Ressourcen verfügt, um sich der Macht der Konzerne entgegenzustellen, hat diese Bewegung dennoch Beeindruckendes erreicht. Gerade dieses Engagement ist die Reaktion, die der Politik signalisiere, dass Lobbyismus sich nicht länger im Halbdunkeln verstecken kann. Als im Rahmen des deutschen Corona-Hilfspakets Abwrackprämien für Verbrenner diskutiert wurden, war die Empörung der Gesellschaft groß – und schließlich musste die Politik sie mit erhobenen Händen wieder über Bord werfen.
Dieses kritisches Hinschauen auf das Treiben der Wirtschaftslobby muss auch auf europäischer Ebene stattfinden – nicht zuletzt in Hinblick auf das Parlament, das doch eigentlich die Stimme der europäischen Bürger*innen sein sollte, und nicht der Wirtschaftslobby. „Je mehr Menschen der Politik auf die Finger schauen und nicht mehr jede Entscheidung einfach hinnehmen, desto mehr merkt die Politik, dass sie im Sinne des Gemeinwohls wirklich gefragt ist und handeln muss.“